Die Lacktechnik-Experten des Fraunhofer-Instituts für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM in Bremen entwickeln derzeit in einem internationalen Konsortium aus europäischen und japanischen Partnern neuartige Enteisungstechnologien, die für die nächste Generation von Flugzeugen verwendet werden sollen. Zielsetzung ist dabei ein integriertes System, das drei synergistische Komponenten umfasst: aktive Enteisungstechnik, funktionale Beschichtungen, die die Enteisungsfunktion unterstützen, sowie eine Sensortechnik, die nicht nur die Vereisung, sondern auch die Enteisung in Echtzeit überwacht.
Flugzeugoberflächen können häufig während des Fluges vereisen, weil sie extrem niedrigen Temperaturen (bis unter -50 Grad Celsius in Höhen bis 10.000 Meter) sowie dem in der Atmosphäre – beispielsweise in Wolken oder Niederschlägen – enthaltenem Wasser ausgesetzt sind. Die Bildung von Eis kann insbesondere an den Flügeln zu massiven Problemen führen, da sowohl die Aerodynamik negativ beeinflusst wird als auch das Gewicht des Flugzeugs stark zunehmen kann.
Neben dem erhöhten Treibstoffbedarf und den damit einhergehenden CO2-Emissionen ist damit auch ein hohes Sicherheitsrisiko verbunden: Beispielsweise verzeichnete die entsprechende Datenbank der US-amerikanischen Zulassungsbehörde Federal Aviation Administration (FAA) von 1998 bis 2007 insgesamt 886 Vorfälle im Zusammenhang mit Vereisung.
Daher werden schon heute enorme Anstrengungen unternommen, um die Eisbildung frühzeitig zu erkennen, sie zu verhindern und das entstehende Eis zu entfernen. Hierzu wird zum Beispiel die Abwärme der Triebwerke zum Aufheizen der Flügelvorderkanten verwendet. Andere Enteisungssysteme beruhen auf der mechanischen Eisentfernung mittels sogenannter „rubber boots“. Diese Gummimatten enthalten Luftkammern, die sich bei Bedarf aufpumpen lassen und dadurch das Eis von der Oberfläche absprengen.
Das im November 2012 gestartete Projekt „JEDI ACE“ (Japanese-European De-Icing Aircraft Collaborative Exploration) verfolgt das Ziel eines mehrkomponentigen Systems, das für die neue Generation von Flugzeugen, die u. a. aus leichten carbonfaserverstärkten Kunststoffen (CFK) aufgebaut sind, geeignet ist.
Der Fokus liegt hierbei auf Sicherheits- sowie Effizienzaspekten. „Das neue System soll durch die Kombination aus innovativen Enteisungstechnologien und Echtzeitsensoren im Vergleich zu den heute im Einsatz befindlichen Technologien deutlich weniger Energie benötigen und vereisungsbedingte Vorfälle während des Flugs um bis zu 80 Prozent reduzieren“, so Gerhard Pauly vom Fraunhofer IFAM, der für das internationale Projekt die Managementaufgaben innehat.
Die Forscher des Fraunhofer IFAM leisten in diesem Projekt umfangreiche Arbeiten im Bereich der Beschichtungsentwicklung sowie der Tests zum Vereisungsverhalten der Oberflächen. Die im Fokus stehenden Beschichtungen sollen die aktiven Enteisungstechnologien auf thermischem und/oder mechanischem Wege unterstützen, indem sie die Haftung des Eises deutlich reduzieren und dessen Entfernung somit erleichtern.
Damit soll die Effizienz des Gesamtsystems signifikant erhöht werden. „Die Herausforderung hierbei ist, dass die Beschichtungen ihre Funktion trotz der am Flugzeug auftretenden hohen Belastungen wie Erosion und UV-Strahlung über mehrere Jahre behalten müssen. Hierzu arbeiten wir derzeit an Lacksystemen, die diese Dauerbeständigkeit erreichen“, erläutert Lacktechnik-Expertin Nadine Rehfeld vom Fraunhofer IFAM, die wissenschaftliche Leiterin des internationalen Projekts.
Darüber hinaus wird die Eignung sogenannter „Shape-Memory-Materialien“ als mechanische Aktuatoren untersucht, die – eingebracht in eine Beschichtung – die Eisentfernung durch die Änderung des Oberflächenprofils ermöglichen.
Erste Ergebnisse dazu wurden bereits bei einem Projekttreffen im Mai 2013 in Tokio vorgestellt, bei dem die Projektpartner Dassault Aviation (Frankreich), Universitat Rovira i Virgili/Centre for University Studies in Aviation (Spanien), Fuji Heavy Industries Aerospace Company (Japan), Japan Aerospace Exploration Agency (Japan) und Kanagawa Institute of Technology (Japan) auch über das weitere Vorgehen diskutieren konnten.
Ein weiterer wesentlicher Meilenstein, der von den Wissenschaftlern des Fraunhofer IFAM im Rahmen des Projekts JEDI ACE vorangetrieben wird, ist die Errichtung eines Windkanals, in dem sich unter Vereisungsbedingungen die neu entwickelten Enteisungssysteme testen lassen.
„Mit dieser Testanlage können wir Temperaturen von -30 Grad Celsius erreichen und Windgeschwindigkeiten bis zu 350 Stundenkilometern realisieren. Damit ist es uns möglich, realitätsnahe Tests u. a. mit unterkühltem Wasser, welches auch bei unter 0 Grad Celsius noch in flüssiger Form vorliegt, zu simulieren“, so Nadine Rehfeld.
Das Projekt wird durch die Europäische Kommission sowie dem Japanischen Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie (METI) gefördert. Das Fraunhofer IFAM koordiniert die anstehenden Aufgaben und hat die wissenschaftliche Projektleitung inne. Partner des Fraunhofer-Instituts für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM im Projekt JEDI ACE sind
• Dassault Aviation (Frankreich)
• Universitat Rovira i Virgili/Centre for University Studies in Aviation (Spanien)
• Fuji Heavy Industries Aerospace Company (Japan)
• Japan Aerospace Exploration Agency (Japan)
• Kanagawa Institute of Technology (Japan)
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