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Geht’s dem Massentourismus an den Kragen?

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Massentourismus: Urlauber in der Getreidegasse in Salzburg
Massentourismus bringt viel Geld und auch Ärger: Touristeninvasion in der Altstadt von Salzburg (Foto: Pixabay)

Massentourismus unerwünscht: Auf Mallorca demonstrieren Umweltschützer gegen den Urlauberansturm und private Ferienwohnungen auf der Insel; am Ballermann machen Anrainer mit schwarzen Fahnen an Fenstern und Balkonen ihrem Ärger gegen deutsche und britische „Sauftouristen“ Luft; in Venedig laufen Einheimische Sturm gegen die Mega-Kreuzfahrtschiffe; und zum Schutz des Taj Mahal will Indien den Zugang zu dem berühmten Mausoleum begrenzen. Der Massentourismus wird zum immer drängender werdenden Problem für Reiseindustrie und Bewohner.

Weil der Begriff „Massentourismus“ aber dem Image der Reisebranche nicht förderlich ist, sprechen Touristiker und Experten lieber vom „Overtourism“. Reiseziele, die wegen Rekordbesucherzahlen an gnadenloser Überfüllung leiden, sorgen unter dem Stichwort „Overtourism“ weltweit für Schlagzeilen. Der Widerstand gegen die Urlauberinvasion wächst, was zu öffentlichen Protesten und Reglementierungen seitens der Behörden führt.

Die internationale Reise- und Tourismusbranche ist daher gefordert, rasch Lösungen zu finden, um die steigenden Besucherzahlen zu steuern, ohne das Wachstum des Tourismus und die Lebensqualität der bereisten Destinationen einzuschränken. Darüber waren sich die Experten auf dem 25. World Travel Monitor Forum in Pisa einig.

Massentourismus beeinflußt internationale Reisen

„Overtourism wirkt sich nicht nur direkt auf Destinationen, Sehenswürdigkeiten, lokale Infrastruktur und Anwohner aus, sondern auch auf die Reisenden selbst“, so Rolf Freitag. Der CEO von IPK International bezieht sich auf eine repräsentative Umfrage, die im Rahmen des World Travel Monitors im September 2017 unter 29.000 internationalen Reisenden in 24 Ländern in Europa, Asien und Amerika durchgeführt wurde. Diese ergab, dass rund 25 Prozent aller internationalen Touristen das Gefühl hatten, dass ihr Ziel in diesem Jahr überlaufen war.

Massentourismus: Fotografierende Touristen
Massentourismus: Wo Urlauber in Massen auftreten, schrumpft das Reiseerlebnis (Foto: Pixabay)

Massentourismus beeinträchtigt Reiseerlebnisse

Darüber hinaus gaben neun Prozent – das entspricht rund 100 Millionen internationaler Touristen – an, dass sich die Masse an Besuchern negativ auf ihr Reiseerlebnis ausgewirkt habe. Mit 13 Prozent war dieser Eindruck bei Familien mit Kindern und jungen Reisenden unter 34 Jahren am höchsten. Ein Blick auf die Herkunftsregionen zeigt, dass mit 15 Prozent Asiaten am sensibelsten auf überlaufene Destinationen reagierten. Demgegenüber gaben neun Prozent der Nordamerikaner und acht Prozent der Europäer an, dass ihr Reiseerlebnis durch stark überhöhte Besucherzahlen beeinträchtigt wurde.

Alle Urlaubsarten und Destinationen sind betroffen

Im Gegensatz zur öffentlichen Wahrnehmung findet laut World Travel Monitor Massentourismus nicht nur in Großstädten statt. Skigebiete sind die am stärksten überlaufenen Tourismusorte. Laut Umfrage gab fast jeder fünfte internationale Reisende (19 Prozent) an, dass sein Wintersporturlaub von „Overtourism“ betroffen war, was zum Beispiel zu langen Wartezeiten an Skiliften führte.

Dass „Overtourism“ ein allgemeines Problem darstellt und sich nicht nur auf Städte beschränkt, zeigt, dass andere Urlaubsarten ebenso von zu hohen Besucherzahlen betroffen sind. Etwa jeder zehnte Reisende beschrieb, dass die Qualität seiner Rundreise, Kreuzfahrt, Städtereise, Sonnen- und Strandurlaubs oder seines Urlaubs auf dem Land unter Massentourismus litt.

Wenn Massentourismus die Metropolen bedrängt

Mit Blick auf betroffene Städte, sind die chinesischen Millionenmetropolen Guangzhou (24 Prozent) gefolgt von Shanghai (23 Prozent) und Peking (21 Prozent) Spitzenreiter. Die Reiselust der Chinesen ist ungebremst. Dahinter rangieren Amsterdam und Istanbul (jeweils 19 Prozent) sowie Barcelona, Florenz und Venedig (jeweils 18 Prozent) auf den weiteren Plätzen, gemäß des World Travel Monitors.

„Overtourism ist schlecht für Natur, Kultur, Einheimische und Touristen gleichermaßen. Jedoch ist der globale Tourismus nicht an seine Grenzen gestoßen. Viele Destinationen würden sich freuen, mehr Besucher willkommen zu heißen, entweder während des Jahres oder in der Nebensaison. Der Tourismus hat also kein Wachstumsproblem, sondern ein regionales und saisonales Problem“, analysiert Freitag die Ergebnisse.

Strategien mit allen Interessengruppen notwendig

Verschiedene Experten des Pisa-Forums unterstrichen die Notwendigkeit der internationalen Reiseindustrie, gemeinsam mit Destinationen koordinierte Strategien zum Management von „Overtourism“ zu entwickeln. Solche Strategien könnten sich auf Themen wie die Steuerung der Saisonalität und Besucherströme, die Verbreitung von Tourismusvorteilen wie Arbeitsplätzen und Einkommen unter den lokalen Gemeinschaften sowie Investitionen in die Infrastruktur und den Schutz von touristischen Natur- und Kulturgüter konzentrieren.

Massentourismus: Kreuzfahrtschaiffe als schwimmende Hotels
Massentourismus: Immer öfter gehen Urlauber mit schwimmenden Massenhotels auf Reisen (Foto: Pixabay)
Kreuzfahrtexperte Prof. Dr. Dr. Alexis Papathanassis, Direktor des Instituts für Maritimen Tourismus in Bremerhaven erklärte: „Overtourism ist an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten ein sehr lokales Problem und nicht immer eines der gesamten Umgebung. Das Problem ist nicht Overtourism im Allgemeinen, sondern ein unzureichendes Tourismusmanagement.“ Vor allem müssten Lösungen direkt in den Destinationen gefunden werden, wie beispielsweise durch die Bewältigung der Saisonalität und nicht durch die Begrenzung der Nachfrage, forderte Papathanassis. Er betonte: „Jeder Fall ist anders. Es gibt keine universelle Lösung.“

Venedig nimmt das Problem Overtourism in Angriff

Venedig, das in seinem historischen Kern gerade mal 55.000 Einwohner zählt, gehört zu den Städten, die zunehmend von Überfüllung betroffen sind. Valeria Minghetti, Forschungsleiterin am CISET, dem Internationalen Studienzentrum für Tourismusökonomie der Ca‘ Foscari Universität Venedig, erklärte in Pisa, dass Massentourismus weit mehr Kosten als Vorteile für die Stadt verursache, einschließlich Überfüllung, Umweltverschmutzung und Preisanstiege.

Auf die Überfüllung reagierte die italienische Stadt in diesem Jahr mit etlichen Maßnahmen. Unter anderem sollen Kreuzfahrtschiffe daran gehindert werden, am Markusplatz vorbeizufahren. Die Initiative „Enjoy Respect Venice“ für verantwortungsbewusste Touristen wurde ins Leben gerufen sowie Bußgelder für Besucher verhängt, die gegen örtliche Gesetze verstoßen. Minghetti führte weitere zur Diskussion stehende Ideen aus. Dazu zählen eine Beschränkung der Besucherzahl des Markusplatzes, eine neue Touristensteuer und eine App mit Echtzeitinformationen zur Auslastung.

David Ruetz, Head of ITB Berlin, meint: „Overtourism ist eine große Herausforderung für die globale Reise- und Tourismusbranche und ganz offensichtlich sind hier neue Lösungswege erforderlich. Das wird auch ein zentrales Thema auf dem ITB Berlin Kongress im nächsten Jahr sein, bei dem Experten Probleme und potenzielle Lösungen diskutieren werden.“