
Nachhaltigkeit im Tourismus: Realität oder Fiktion, machbar oder unmöglich? Wer will wirklich Nachhaltigkeit im Tourismus? Geschäftsreisen und Nachhaltigkeit – wann und wie ist das möglich? Wer bezahlt am Ende die Kosten für die Nachhaltigkeit? Lesen Sie, was ÖRV-Präsident Dr. Josef Peterleithner in einem Exklusiv-Interview mit TRAVELbusiness-Herausgeber und Chefredakteur Georg Karp zum Thema zu sagen hat.
TRAVELbusiness: Alle reden von Nachhaltigkeit, aber was ist damit tatsächlich gemeint, was ist nachhaltiger Tourismus?
Peterleithner: Tourismus, der es heutigen Generationen ermöglicht zu Reisen, ohne die Reisemöglichkeit für künftige Generationen einzuschränken. Damit verbunden ist ein rücksichtsvoller Umgang mit Natur und Menschen im Gastland. Vor allem auch die Begegnung auf Augenhöhe.
TRAVELbusiness: Also nur ein anderer Begriff für Naturtourismus, sanften Tourismus oder Öko-Tourismus?
Peterleithner: Die Begriffsabgrenzungen sind durchaus problematisch. Es ist vielmehr ein Entwicklungsprozess hin zu einem nachhaltigen Tourismus. Ökotourismus ist nachhaltiger Tourismus in sensiblen Gebieten; er trägt zur Finanzierung des Schutzes der Natur bei. Der sanfte Tourismus kann als Art Vorläufer des nachhaltigen Tourismus gesehen werden. Er ist Ende der 1970er Jahre aus der Kritik am Massentourismus entstanden, um die vielfältigen negativen Auswirkungen des sogenannten harten Tourismus in den Urlaubsregionen zu verringern. Nachhaltiger Tourismus geht über die ökölogischen Auswirkungen des Reisens hinaus und berücksichtigt auch ökonomische und soziale Auswirkungen. Zudem gibt es zunehmend Stimmen, die sich auch für eine rechtliche Komponente der Nachhaltigkeit (Richtlinie etc.) und eine technologische Nachhaltigkeit, sprich Errungenschaften (Wasseraufbereitungssysteme in der Hotellerie etc.), die die nachhaltige Entwicklung stützen, aussprechen.
Peterleithner: Nachhaltigkeit gewinnt auch bei den Reiseveranstaltern an Bedeutung. Die Intensität und das Spektrum der Aktivitäten sind aber sehr unterschiedlich. Das geht z.B. von der Klimakompensation bis zu Baumpflanzungen oder Hotelzertifizierungen. Es gibt kleinere Veranstalter, die Ökoreisen anbieten, das Angebot an nachhaltigen Ausflügen steigt, die Umweltkommunikation in Broschüren, auf Katalogseiten zeigt sich deutlich verstärkt. So hat sich Futouris die Nachhaltigkeitsinitiative der Reisebranche, deren Schirmherrschaft der ÖRV übernommen hat, zum Ziel gesetzt die nachhaltige Entwicklung in touristischen Destinationen langfristig mit der gezielten Unterstützung von Projekten in den Bereichen Ökologie, Biodiversität und soziokultureller Veranstwortung zu fördern.
TRAVELbusiness: Und welche Veranstalter sind zum Beispiel im nachhaltigen Tourismus engagiert, was bieten sie an, wie breit ist das Anbieterspektrum?
Peterleithner: Es gibt schon sehr viele Anbieter mit Spezialangeboten und nachhaltigen Projekten. Zum Beispiel Mondial mit FairReisen in Österreich, ITS Billa Reisen mit Plant for the Planet, TUI Deutschland mit Lebensnester für Haiti, Thomas Cook mit Tropenwaldschützer in Kuba, AIDA Cruises mit nachhaltigen Ausflugsprogrammen für die Passagiere oder TUI Österreich mit dem Angebot Sorten orten auf Teneriffa. Die ÖRV Nachhaltigkeitsumfrage hat unter anderem ergeben, dass das Anbieterspektrum, das nachhaltige Reiseangebote enthält, sehr übersichtlich ist. Auffallend ist dabei die deutliche Vorreiterstellung in der Wahrnehmung als Anbieter nachhaltiger Reiseprodukte die TUI mit 47 Prozent, vor Studiosus mit 21 Prozent, Chamäeleon mit 12 Prozent sowie Dertour und Weltweitwandern mit jeweils 10 Prozent.
TRAVELbusiness: Wie nachhaltig agieren andere Leistungsträger wie etwa Hotels?
Peterleithner:Die Intensität und das Spektrum der Aktivitäten ist sehr unterschiedlich.
Immer mehr Dienstleister nützen die Möglichkeit – vor allem Hotels, sich mit einem Zertifikat auszeichnen zu lassen, zum Beispiel österreichisches Umweltzeichen, Travellife etc.
TRAVELbusiness: Ist das Interesse der Reisenden an nachhaltigen Urlaubsangeboten bemerkbar?
Peterleithner:Nachhaltigkeit dringt immer stärker in das Bewusstsein der Bevölkerung. Aber Nachhaltigkeit ist meistens kein Entscheidungskriterium für eine Reise. Laut einer ÖRV Nachhaltigkeitsumfrage haben insgesamt 61 Prozent der Reisebüros angegeben, dass Nachhaltigkeit eine große oder sogar sehr große Bedeutung in dem jeweiligen Reisebüro hat.
TRAVELbusiness: Klappt es mit der Umsetzung von Nachhaltigkeitskriterien am Urlaubsort – etwa in Tunesien, Türkei, Spanien, Italien, Griechenland oder Ägypten?
Peterleithner: Das ist von Destination zu Destination unterschiedlich. Länder mit einer funktionierenden kommunalen Müllentsorgung und Trennung und wiederum welche ohne. Teilweise werden regenerative Energiequellen eingesetzt, Strandsäuberungsaktionen werden durchgeführt, Strände mit der Blauen Flagge ausgezeichnet. Es werden vermehrt einheimische Lebensmittel für die Verpflegung von Gästen genutzt und neue Arbeitsplätze geschaffen.
TRAVELbusiness: In welchen Destinationen ist die Umsetzung leichter, in welchen schwerer?
Peterleithner: Sicherlich kommt es auch auf das Thema an. In Destinationen, die mehr von politischen Unruhen geprägt sind, ist eine Umsetzung sicherlich schwieriger. Wichtig hierbei ist auch, wie überzeugt die Leistungsträger einer Destination von dem Nutzen sind. Wenn alle an einem Strang ziehen, lässt sich eine nachhaltige Entwicklung besser anstreben und umsetzen. Siehe in Deutschland am Beispiel der Insel Juist.
TRAVELbusiness: Nachhaltigkeit in Krisenzeiten wie diesen, ist das überhaupt realistisch und möglich?
Peterleithner: Ich sehe in Wirklichkeit keine Krise. Der Tourismus ist weltweit ein Wachstumsfaktor. Nachhaltigkeit ist ein besonders wichtiges Thema für die Gestaltung unserer Zukunft und die Bewahrung der Natur und Landschaft. Das Achten auf Aspekte des Umweltschutzes wie beispielsweise auch der ressourcensparsame Umgang mit Energie und Wasser kann zudem auch Kosten einsparen. Das ist auch in Krisenzeiten möglich und machbar. Man muss es nur wollen und etwas tun.
TRAVELbusiness: Nachhaltigkeit erfordert aber große Investitionen. Werden diese auf die Urlauber abgewälzt, im Endpreis inkludiert? Sind Reisende überhaupt bereit, einen finanziellen Beitrag für einen nachhaltigen Urlaub zu bezahlen?
Peterleithner: Untersuchungen zeigen, dass eine Zahlungsbereitschaft für nachhaltige Reiseangebote vorhanden ist. Allerdings nur bis zu einem gewissen Betrag von maximal 20 Euro pro Reise. Der Kunde ist sehr häufig preissensibel, so dass hier vorsichtig vorgegangen werden muss. Wenn der Kunde das Gefühl hat, er zahlt einen kleinen Teil und der Rest wird vom Veranstalter getragen, kann dies zu einem positiven Gefühl führen. Außerdem möchte der Kunde gern sehen, welche Maßnahmen mit seinem Geld umgesetzt werden. Denn Nachhaltigkeit wird häufig mit mehr Qualität assoziiert.
TRAVELbusiness: Ist Nachhaltigkeit im Tourismus also mehr als nur ein Marketing-Gag der Reisebranche?
Peterleithner:Ja. Denn es geht schließlich um den langfristigen Erhalt. Die Natur und die Landschaft sowie die Bevölkerung der Gastländer und ihre Traditionen sind wichtige Bausteine für den Tourismus. Ohne diese funktioniert das Reise-Business nicht.
TRAVELbusiness: Nachhaltiger Tourismus muss auch soziale, kulturelle, ökologische und wirtschaftliche Verträglichkeitskriterien erfüllen. Tut er das wirklich?
Peterleithner: Entscheidend ist die Balance zwischen den Verträglichkeitskriterien. Alle Kriterien sollten Berücksichtigung finden. Es ist wahrscheinlich besser von einem nachhaltigeren Tourismus zu sprechen.
TRAVELbusiness: Was sind die Voraussetzungen für einen nachhaltigeren Tourismus?
Peterleithner: Die Einhaltung, der Einklang von Ökologie, Sozialverträglichkeit und Ökonomie. Das Bewusstsein für eine nachhaltige Entwicklung muss verstärkt werden – auch durch kontinuierliche interne und externe Kommunikation.
TRAVELbusiness: Intakte Natur- und Lebensräume sowie Umweltmanagement-System sind die Voraussetzungen für einen nachhaltigen Tourismus in ländlich-peripheren Räumen sowie in intensiv genutzten touristischen Destinationen. Ist das in jeder Region, in jedem Land der Erde umsetzbar?
Peterleithner: Ein nachhaltigerer Tourismus sollte überall umsetzbar sein. Wir haben aber noch einen sehr langen Weg vor uns. Dabei gilt es auch regionale Unterschiede zu beachten. Die Voraussetzungen sind häufig unterschiedlich. Grundsätzlich ist jedoch eine nachhaltige Entwicklung nicht einigen vorbehalten, sondern für jede Region möglich.

TRAVELbusiness-Buchtipp: Vom Naturtourismus des 19. Jahrhunderts bis Sanften Tourismus und Ökotourismus der Gegenwart zeichnet Christian Baumgartner in seinem Sachbuch „Nachhaltigkeit im Tourismus“ (Studienverlag) die Entwicklungen hin zu einem Nachhaltigen Tourismus nach. Dabei unterzieht er verschiedene politische Tourismus-Ansätze – von umwelt- und entwicklungspolitischen Organisationen bis hin zu EU und Welttourismusorganisation – einer kritischen Betrachtung.
Im zweiten Teil des Werks entwickelt Christian Baumgartner einen eigenen fundierten Ansatz zur Bewertung der Nachhaltigkeit touristischer Destinationen. Dadurch können Einzelbewertungen für die Bereiche Ökologie, Ökonomie, Soziokultur sowie institutionelle Rahmenbedingungen und eine Gesamtbewertung der Nachhaltigkeit des regionalen Tourismus erstellt werden.
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