
Kennen Sie Patagonien, das faszinierende Ende der Welt? Das ist jene menschenleere Weite des südlichen Argentiniens und Chiles, wo der größte Eispanzer außerhalb der Polarzone und Grönlands mit seinen hunderten von Gletschern liegt, die sich teils hunderte Meter unter und über der Wasseroberfläche auftürmen. Der preisgekrönte britische Fotograf Finn Beales beschreibt in seinem neuen Buch „Let’s Get Lost: Der perfekte Augenblick an den schönsten Orten der Welt“ seine Wanderung in Patagoniens Bergwelt mit emotionalen Bildern von Cath Simard.
Patagonien ist eine spektakuläre Region, in der Gletscherseen, Wasserfälle und eine vielfältige Flora und Fauna von schneebedeckten Berggipfeln umgeben sind. Die Landschaft ist zerklüftet und das Wetter launisch. Man sollte darauf gefasst sein, lange Strecken zu wan- dern, bei Minusgraden aufzuwachen und bei extrem windigen Bedingungen zu fotografieren.
Gute Aufnahmen muss man sich hart erarbeiten. Jedoch sind die Landschaft und die Natur so überwältigend, dass sich die Mühe lohnt. Die physischen Herausforderungen bei einer Reise nach Patagonien sorgen dafür, dass die Touristenzahlen niedrig bleiben. Die Region ist unberührt und unverfälscht – und das ist wunderbar.
Die Berge in Patagonien und die Abgeschiedenheit der Region haben mich schon immer angezogen. Ich bin begeistert von den Gletscherseen und schroffen Gipfeln, die es hier in Hülle und Fülle gibt. Es ist der perfekte Ort, um offline zu gehen und sich eine Auszeit zu gönnen.
Da die Bedingungen so herausfordernd sind, sollte man den Reisezeitpunkt mit Bedacht wählen. Von Dezember bis Februar ist es zwar am wärmsten, aber meist sind dann die Winde am stärksten. Wer mit kalten Temperaturen zurechtkommt, sollte im März oder April reisen, wenn auf der Südhalbkugel Herbst ist. Die Farben sind dann (vor allem im März) überwältigend, die Winde mäßiger und die Chancen höher, wild lebende Tiere zu sehen.
In Patagonien gibt es unglaublich viele Orte, die es sich zu besuchen lohnt. Idealerweise nimmt man einen Flug nach El Calafate, leiht sich dort ein Auto und fährt nach El Chaltén, dem Trekking- Zentrum Argentiniens. Ich rate dazu, hier mindestens eine Woche zu bleiben. Die meisten Wanderwege beginnen direkt am Ort und offenbaren nach nur wenigen Kilometern eine faszinierende Landschaft. Ein Höhepunkt ist die Laguna de Los Tres, ein kleiner Gletschersee am Fuße des Berges Fitz Roy.
Von El Chaltén führt eine Straße über die chilenische Grenze zum Nationalpark Torres del Paine, wo sich unzählige imposante Berge, Täler, Flüsse und Seen befinden. Ich hatte mir vorgenommen, die Cuernos del Paine (auch „Paine-Hörner“ genannt) zu erklimmen. Dabei handelt es sich um nadelartige Granitberge, die über 2000 m hoch und ein Wahrzeichen des Nationalparks sind.
Bei Sonnenaufgang ist normalerweise die beste Zeit, um die Landschaft im Torres del Paine zu fotografieren. Dann ist der Himmel sehr klar. Bei Sonnenuntergang ist es meist bewölkter. Aber mit etwas Glück fängt man ein wunderschönes Farbspiel ein, wenn das Licht hinter den Gipfeln verschwindet.
Wem eine Wanderung im Dunkeln nichts ausmacht, dem rate ich, früh aufzubrechen und den Sonnenaufgang auf dem Gipfel zu erleben. So wird man Zeuge eines sehr intensiven Alpenglühens – eine fantastische Belohnung für jeden, der die anstrengende Wanderung auf sich genommen hat.

Nach einer kurzen, kalten Campingnacht in den Bergen wachten wir um 6 Uhr auf. Ich fror an den Händen und Füßen, und mein Rucksack mit der Kameraausrüstung war schwer. Im Dunkeln ging es los, ausgerüstet mit einer Stirnlampe. Beim steilen Aufstieg drückten mich kräftige Böen mit 120 km/h Windgeschwindigkeit immer wieder auf den schlammigen Weg. In der vergangenen Nacht war heftiger Regen niedergegangen, vor dem auch unsere Ausrüstung nicht verschont geblieben war.
Nach einer Stunde tauchte langsam die Silhouette der Los Cuernos am Himmel auf. Hinter einem Felsen suchte ich Schutz und wartete auf die Sonne. Ich hatte Mühe, meine Kamera samt Stativ ruhig zu halten, um Aufnahmen machen zu können. Es war chaotisch, aber seltsamerweise verlieh mir dieses Chaos eine gewisse Ruhe. Als die Sonnenstrahlen die Berggipfel erreichten, bildete sich durch den Regen plötzlich ein Regenbogen. Ich konnte mein Glück kaum fassen, so viele außergewöhnliche Facetten auf einem einzigen Bild einzufangen.
In Patagonien ändert sich das Wetter so schnell wie in fast keiner anderen Region auf der Welt. Innerhalb von Minuten wird Regen zu Sonnenschein. Man sollte lieber riskieren, mit keiner Aufnahme zurückzukommen, als wegen schlechten Wetters nicht zu gehen und ein Motiv zu verpassen. Und meiner Erfahrung nach gibt es selbst unter schlechtesten Bedingungen zumindest ein kurzes Zeitfenster zum Fotografieren.
Meine Tour zu den Cuernos del Paine war anstrengend gewesen, aber ein Highlight wollte ich noch erleben. Um Mitternacht startete ich zu einer 20-km-Wanderung, um den Sonnenaufgang am Mirador Las Torres zu fotografieren. Die ersten Kilometer im Dunkeln waren die härtesten: 400 Höhenmeter auf knapp 2 km. Mehrmals erwägte ich, umzudrehen. Die Aussicht auf Schlaf war verlockend, aber ich wusste, dass ich das bereuen würde.
Drei Stunden und 10 km später erreichte ich den Fuß der drei markanten Granitberge. Wegen dieses Ortes war ich nach Patagonien gereist: ein prächtiger, türkisfarbener Gletschersee, eingebettet in ein bergiges Tal und umgeben von den drei mächtigen Felssäulen. Dieser Anblick hatte mich schon immer in seinen Bann gezogen, es war, als wäre die Zeit stehengeblieben. Die enorme Schönheit ließ mich die Kälte und Erschöpfung vergessen. Ich saß ganz still da und wartete geduldig, bis die Sonne die Felsen rot färbte.
Was Sie noch wissen sollten
Die Landschaft in Patagonien ist gewaltig und erfordert ein Weitwinkelobjektiv. Da man den Gipfeln oft sehr nah kommt, ist ein großes Sichtfeld wichtig, um das gesamte Panorama fotografieren zu können. Zudem eignet sich der dunkle Himmel Patagoniens gut für Astrofotografie. Mit einem lichtstarken Objektiv lässt sich das Firmament bestens einfangen.
Ein langes Teleobjektiv ist nützlich, wenn man die hoch aufragenden Berggipfel ablichten möchte. Und war das Wetter stürmisch oder die Wanderung zu einem Aussichtspunkt nicht möglich, rettete mir mein 100–400-mm-Objektiv den Tag.
Nicht erst seit Pandemiezeiten wächst die Sehnsucht nach der Ferne, die aber auch ganz in der Nähe liegen kann. Es geht vielmehr um das Eintauchen in die Natur, das Unterwegssein, die Abwechslung vom Alltag. Finn Beales hat in seinem Buch „Let’s Get Lost: Der perfekte Augenblick an den schönsten Orten der Welt“ mehr als 250 spektakuläre Bilder der 20 erfolgreichsten Instagram-Outdoor-Fotografen eine beeindruckende Auswahl von absolut atemberaubenden Bilder der 20 besten Fotografen:innen kuratiert (Verlag Prestel).
Ob in einem nebelverwunschenen Tal in Wales oder auf dem höchsten Gipfel der Dolomiten, in einer versteckten griechischen Badebucht oder im ruandischen Eukalyptuswald – in den Kapiteln Berge, Wildnis, Küsten, Eis und Schnee, Seen und Flüsse sowie Wälder kann jeder auf Entdeckungsreise zu den verborgenen Schönheiten dieser Erde gehen. Und sich inspirieren lassen für die nächste eigene Fotoreise. Ein bisschen Verlorengehen ist dabei ausdrücklich erlaubt!
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